Frankreich Newsletter September III 2002

In der vorliegenden Frankreichkontakte-Sonderausgabe werden franzoesische Presseberichte zur deutschen Bundestagswahl zusammengefasst. Dabei wurden die greossten franzoesischen und Pariser Zeitungen drei  Tage VOR und am Tag NACH der Wahl beruecksichtigt. Grundlage hierfuer ist der vom Pressedienst der Deutschen Botschaft Paris herausgegebene  Pressespiegel, der taeglich kostenlos als newsletter per mail vom Informationsdienst der Deutschen Botschaft erhaeltlich ist: www.amb-allemagne.fr
Die hier vorliegende Aufbereitung und Zusatzkommentare erfolgten durch Michael Kuss www.frankreichkontakte.de
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Voila, es ist soweit!
Schon einen Tag nach dem Wahlsonntag kann ich die versprochene Sonderausgabe >Frankreichs Presse vor und nach den deutschen Wahlen<  liefern. Aber nicht nur ich habe heute Nacht schnell gearbeitet; auch der Pressedienst der Deutschen Botschaft Paris hat die letzen franzoesischen Pressemeldungen am Tag nach der Wahl zuegig zusammengefasst und per mail verschickt. Der Dank geht also auch nach Paris zur Deutschen Botschaft.

Der naechste >normale< newsletter frankreichkontakte.de wird am 10. Oktober 2002 erscheinen. Darin dann auch weitere Pressestimmen der laufenden Woche, die hier nicht beruecksichtigt werden konnten. Ausserdem natuerlich viele neue Kontakte, Adressen und Frankreich-Infos.

Bitte machen Sie fuer den kommenden newsletter ausgiebig Gebrauch von den Moeglichkeiten der >KOSTENLOSEN PRIVATEN KLEINANZEIGEN< sowie von GEWERBLICHEN ANZEIGEN fuer Ihre  Frankreich-Angebote, Produkte und Dienstleistungen.

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Alors, a bientôt!
Michael Kuss
www.frankreichkontakte.de
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Einfuehrende Erlaeuterungen und Einschaetzungen
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von Michael Kuss

>>> LE MONDE: Fuehrende franzoesische Tageszeitung, unabhaengig, ohne ersichtliche parteipolitische Bindung. Mit ausgepraegter Berichterstattung auf nahezu allen Gebieten, mit Schwerpunkten aus Politik, Wirtschaft, Bildung, Studium und Erziehung, Technik und WissenschaftKultur, Arbeit und Soziales, Diplomatie und Internationale Beziehungen. Leserschichten aus dem gehobenen und intellektuellem Buergertum, von der Lehrerin bis zum Top-Manager. Redaktionell und im Inhalt etwa mit der deutschen FAZ (NICHT mit Die Welt) vergleichbar, wobei Le Monde weniger wirtschaftsliberal sondern kritischer (auch gegenueber sogenannten Liberalen Parteien) ist und auch extrem unterschiedliche Aspekte beleuchtet und analysiert; trozdem ist Le Monde letztendlich wirtschaftsorientiert und gehoert zum progressiven und aufgeklaerten Mitte-Rechts-Spektrum in Frankreich.  www.lemonde.fr

>>> LIBERATION:  Linksliberale, kritische, mitunter provokative Tageszeitung, die u.a. von Jean Paul Sartre in Folge der 68er Studentenrevolte als linksradikales und basisdemokratisches Sprachrohr der ausserparlamentarischen Opposition gegruendet wurde und heute mehr zur linken und kritischen Mitte der >Intelligenzler< tendiert. Richtet sich u.a. gegen Antisemitismus und gegen Rassismus, setzt sich fuer Minderheiten ein; in Deutschland etwa mit der TAZ vergleichbar. www.liberation.fr

>>> LE FIGARO: Viele nennen den konservativ und kleinbuergerlich ausgerichteten Figaro die >Franzoesische Bildzeitung<. Im Figaro sind jedoch die dicken Buchstaben und aufreizenden Fotos nicht so zahlreich wie bei Bild. Mitunter kommen im Figaro namhafte Schreiber(innen) zu Wort. Leserschaft und Mentalitaet sowie die politische Richtung koennten allerdings weitgehend mit der deutschen Bild-Analyse identisch sein.  www.lefigaro.fr

>>> LA  CROIX:  Rechtskonservative, klerikal ausgerichtete Tageszeitung, steht dem franzoesischen und roemischen Klerus nahe und vertritt u.a. Positionen des Glaubens, gegen Abtreibung, versucht den Einfluss der kath. Kirche im Staat zu staerken, etc. www.lacroix.fr

>>> L`HUMANITÈ: Frankreich leistet sich den toleranten Luxus einer kommunistischen Tageszeitung. Deren Auflage und Einfluss war zwar vor und nach dem Zweiten Weltkrieg weitaus groesser, aber L`Humanité gilt noch heute als Spiegelbild und Meinungsmacher der etwa 20 Prozent Kommunisten bzw. kommunistischer Waehler in Frankreich. www.humanite.fr

>>> PICAPER: Wichtiger und einflussreicher Deutschland-Korrespondent von Le Figaro

>>> PAPON: Franzosischer Politiker; hat waerend des Zweiten Weltkrieges und der deutschen Besatzung in Frankreich mit den Nazis kolaboriert und wurde wegen Mordes und Haeftlingstransport in die Gaskammern der KZ`s verurteilt, nachdem er jedoch zuvor viele Nachkriesjahre hohe politische Aemter u.a. unter Georges Pompidou (u.a. Polizeipraefekt in Paris) inne hatte und von anderen franzoesischen Nazi-Kollaborateuren gedeckt wurde. Papon wurde in diesen Tagen aus Gesundheitsgruenden aus dem Gefaengnis entlassen, worauf in Frankreich und international eine alte Diskussion neu einsetzte.

>>> PS: Sozialistische Partei Frankreichs

L`PARMANTIER: Deutschlandpolitischer Korrespondent von Le Monde

Weitere franzoesische Tageszeitungen und 600 wichtige franzoesische Internet-Adressen mit deutscher Erlaeuterung zum kostenlosen  Herunterladen oder Ausdruck:
www.frankreichkontakte.de
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Franzoesische Zeitungen am 17. September 2002:
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>>> DEUTSCH-FRANZOESISCHER MOTOR
Die aussenpolitische Chefredakteurin von Les Echos, Francoise Crouigneau, schreibt unter der Ueberschrift >Deutsch-franzoesische Ausnahmen", der Rettungsplan für Mobilcom, Unilateralismus in der Irak-Frage und dass Deutschland Frankreich >entthrone<. Man koenne zwar erwarten, dass es bezueglich des Stabilitaetspaktes eine Loesung geben werde, angesichts der groesseren Herausforderung, denen die EU gegeueber stehe, muessten aber die Alarmglocken schrillen. Loesungen fuehrten in jedem Fall ueüber die Erneuerung des deutsch-franzoesischen Motors.

>>> WIRTSCHAFT
Le Figaro stellt unter den beiden Ueberschriften >Stolperstein Wirtschaft für Schroeder< und >Stoiber setzt auf das bayerische Wunder< die Wirtschaftsbilanz Bundeskanzler Schroeders und Ministerpraesident Stoibers gegenueber und zeichnet auf Bundesebene ein sehr negatives Bild vom Telekommunikations- über den Bankenbereich bis hin zur Gastronomie (>Von Bremen bis Berlin leeren sich ganze Strassenzuege<). Auch La Croix analysiert die wirtschaftspolitische Bilanz Bayerns. Sie kenne auch ihre Schattenseiten und sei u.a. auf eine spezifisch bayrische Lebensart zurückzufuehren.
In seiner Wirtschaftsbeilage widmet Le Monde dem Wahlkampf unter der Ueberschrift >Ein erschoepftes Deutschland für den naechsten Kanzler< drei Seiten, in denen die wirtschaftliche Situation, die Konzepte der
Kandidaten zur Bekaempfung der Arbeitslosigkeit und die Haushaltsschwierigkeiten analysiert werden.
Les Echos bringt ein Interview mit Kanzlerkandidat Stoiber, in dem dieser vor allem zur Wirtschafts- und Fiskalpolitik Stellung nimmt. In Bezug auf die Agrarpolitik wiederholt er, dass Gespraeche zu einer Reform in
Abstimmung mit Paris im Jahre 2004 beginnen koennten. Die Kofinanzierung sei >eine der besten Loesungen<. Er hoffe ausserdem, die FDP von der Einrichtung eines Europaministeriums überzeugen zu koennen.
Le Monde beleuchtet die Hilfsmassnahmen der Regierung für die Hochwasseropfer. In den Lokalzeitungen seien buerokratische Verzoegerungen die wichtigste Meldung,  und es seien die neuen Laender, die die ausschlaggebende Rolle beim Wahlergebnis haetten.

>>> EINWANDERUNG
Dieses Thema solle das Ruder fuer Edmund Stoiber herumreissen. Die Aeusserung der ansonsten ausgewogenen Angela Merkel zu dem Thema zeigten die Nervositaet der Christdemokraten, meint Le Monde. Le Monde beschaeftigt sich außerdem mit den Wahlchancen der Kandidaten auslaendischer Abstammung. Liberation befasst sich in diesem Zusammenhang mit der Integration tuerkischer Einwanderer und ihrer Rolle im Wahlkampf.

>>> KLEINE PARTEIEN
Les Echos behandelt die Rolle der kleinen Parteien bei der Regierungsbildung. Joschka Fischers Popularitaet auch bei seinen eigenen Waehlern sei angesichts der basisdemokratischen Traditionen dieser Partei
und der Entscheidungen, die Fischer der Basis abgerungen habe, erstaunlich. Den traditionnellen Pazifismus haetten die Gruenen aufgegeben.
Die Taktik der >Spass-Partei FDP< sei nicht aufgegangen. Die Debatte um die Aeusserungen Moellemanns haetten viele enttaeuscht.

>>> DEUTSCH-FRANZOSISCHE BEZIEHUNGEN
In einem Interview mit Alfred Grosser weist dieser in Le Monde daraufhin, dass Deutschland weniger geschwaecht sei, als man oft sage. Grund für die Schwierigkeiten seien die weiterhin enormen Transferleistungen nach Ostdeutschland. Es sei ein Fehler, dass die Kandidaten das Thema Europa nicht staerker
behandelt haetten. In Bezug auf die bilateralen Beziehungen erinnert er daran, dass Regierungen unterschiedlicher Richtungen in beiden Laendern durchaus ein gemeinsames Projekt verfolgen koennten. Leider seien die historischen Staats- und Regierungschefpaare nach Kohl und Mitterrand nicht von einem kreativen Duo abgeloest worden.

>>> MOBILCOM
Le Figaro, Liberation, Les Echos und La Croix beschaeftigen sich erneut mit der deutschen Mobilcom. Laut Bundeskanzler Schroeder sei der Bruch mit France Telecom noch nicht endgueltig. Berlin sei entschlossen, in diesem Fall umfangreiche finanzielle Kompensationen zu verlangen. Liberation meint, wenn Stoiber die Wahl gewinne, sei die Affaire moeglicherweise schnell abgeschlossen. Chirac habe Schroeder beim Gipfel in Schwerin ostentativ als Verlierer behandelt.
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18. Septeber 2002:
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>>> OSTDEUTSCHLAND
Le Monde befasst sich mit den Chancen der beiden Kandidaten in Ostdeutschland. Trotz der Schwierigkeiten, die die SPD dort seit der Vereinigung aufgrund der Rolle der PDS gehabt habe, sei Bundeskanzler Schroeder dort beliebter. Sein Einsatz bei den Ueberflutungen und seine Haltung in der Irakfrage habe ihm zusaetzliche Punkte gebracht. Ironischerweise koennte ein schlechtes Abschneiden der PDS Schroeder retten, meint Libération.
Le Monde, Libération und Les Echos befassen sich am Beispiel dreier Staedte (Dessau, Wolgast, Klingenthal ) mit den Problemen Ostdeutschlands (Abwanderung, niedrige Loehne, Mangel an Arbeitsplaetzen, Enttaeuschung nach der Vereinigung). An der deutschen Ostgrenze werde die Wirtschaft noch nicht als stabil genug empfunden, um bei der EU-Erweiterung dem Konkurrenzdruck aus dem Osten standzuhalten (Le Monde).
 
>>> WIRTSCHAFT
Auf den Wirtschaftsseiten befasst sich Le Monde mit der Rolle, die die kleinen und mittelsaendischen Betriebe für die beiden Kandidaten spielten. Bundeskanzler Schroeder habe auf seine Weise vorsichtig und pragmatisch zu einem Wandel des rheinischen Kapitalismus beigetragen. Trotz des scheinbaren Paradoxes, daß Bundeskanzler Schroeder als der >'Genosse der Bosse< gelte und Stoiber dem Mittelstand staerkere Beachtung schenke, koennten beide Kandidaten mit der Unterstuezung durch ihre traditionellen Verbuendeten rechnen (Schroeder mit den Gewerkschaften, Stoiber mit den Arbeitgebern). Le Monde weist ferner darauf hin, daß die wirtschaftspolitische Bilanz Stoibers vom Schicksal der Unternehmen Kirch, Grundig und Fairchild Dornier getruebt werde. Picaper meint in Le Figaro, durch die neue Situation in der Irakfrage verliere dieses Thema im Wahlkampf an Bedeutung und die sozialen und wirtschaftspolitischen Themen traeten wieder in den Vordergrund.
Le Figaro bringt ferner einen Beitrag von drei Politikwissenschaftlern, die nach einem >politik-wirtschaftlichen Modell<' erwarten, daß die hohe Arbeitslosigkeit und das Defizit Bundeskanzler Schroeder so viele Stimmen kosten werde, daß Stoiber wahrscheinlich die Regierung übernehmen koenne. Unsicherheitsfaktor bleibe das Abschneiden der PDS.
 
>>> IMMIGRATION
Picaper schreibt unter der Ueberschrift >Stoiber macht sich das Thema der Immigration zunutze<', Stoiber mische die Karten neu. Die Auswirkungen des neuen Themas auf das Stimmverhalten seien aber umstritten. Picaper erinnert an den Erfolg, den Roland Koch in Hessen mit seiner Unterschriftskampagne gehabt habe und die negativen Reaktion auf die '>Kinder-statt-Inder-Kampagne<' in NRW. In einem weiteren Artikel befasst
sich Le Figaro mit den Befuerchtungen der tuerkischen Bevölkerung in Bayern. Stoiber habe im Wahlkampf seinen Ton gemaessigt, die Mitglieder der bayerischen Regierung sagten aber weiterhin laut, was er nur leise denken duerfe: Man koenne nicht weiter Einwanderer aufnehmen, die nicht die gleiche Kultur haetten. Auch Les Echos befasst sich mit Stoibers moderater Wahlkampftaktik. Er habe aus der Niederlage von Franz Josef Strauss gelernt. Dies zeige auch die Zusammensetzung seines Schattenkabinetts.

>>> MOBILCOM
Le Monde beschaeftigt sich unter der Ueberschrift >Neuer Zankapfel zwischen Paris und Berlin<' noch einmal mit Mobilcom. Deutschland erwarte eine Geste von Paris.
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19. September 2002:
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>>> FRAUEN, JUGENDLICHE, FAMILIENPOLITIK :
Stoiber habe es offenbar nicht geschafft, die Frauen zu überzeugen, meint Picaper in Le Figaro. Dies laege auch daran, dass seine Wahlkampfthemen laut Psychologen eher Maenner ansprechen. Ferner sei die Rolle der Frau in Deutschland stark von religioesen Traditionen gepraegt. Die Vereinbarkeit von Kindern und Berufstaetigkeit sei aus praktischen und sozialen Gruenden schwierig.
Le Figaro bringt außerdem ein Portrait von Katharina Reiche und vergleicht die Ehefrauen der beiden Kandidaten (>modern versus traditionell<). Doris sei eine Freundin Chiracs, mit dem sie telefoniere, um Rat zu erbitten.
La Croix beschaeftigt sich mit dem Phaenomen hoher Wahlenthaltung bei Jugendlichen seit den 90er Jahren. Durch die Ueberflutungen und die Irak-Frage gebe es hier vielleicht einen Wandel, da der Wahlkampf so konkreter geworden sei.

>>> AUSSENPOLITISCHE EINFLUESSE :
Seine Zusage, UNO-Inspekteure nach Bagdad zu schicken, sei für Bundeskanzler Schroeder nicht nur eine Antwort auf seine Kritiker, er koenne das Thema damit auch weiter im Wahlkampft nutzen, meint Le Monde. Ausserdem erlaube es ihm, seinen populaeren Aussenminister in den Vordergrund zu stellen. Daniel Vernet (Journalist bei Le Monde) nimmt einen gemeinsamen Wahlkampfauftritt Schroeders und Fischers (als sei deren Zukunft >untrennbar miteinander verbunden<) zum Anlass, die Wahlkampagne der Gruenen zu analysieren. Die Partei habe ihr Schicksal in Fischers Hand gelegt. Trotz der vorherrschenden Stimmungslage schliesse dieser eine Beteiligung Deutschlands an einem Krieg gegen Irak nicht definitiv aus, setze sich für eine Friedensloesung in Nahost ein und warne vor Anti-Amerikanismus.

>>> PARTEIEN HOCHBURGEN:
Am Beispiel Landsberg befasst sich Le Monde mit Bayern als Hochburg der CSU, in der ein norddeutscher Kandidat keine Chance habe. Liberation und L`Humanite bringen Beitraege ueber das Ruhrgebiet (Liberation: >Industriebastion im Niedergang<), wo in den letzten 30 Jahren >eine Welt zusammengebrochen< sei. Waehlerabwanderungen von der SPD zur CDU seien dennoch unwahrscheinlich. Die Arbeiter waehlten eher direkt die extreme Rechte. Vor allem befuerchte die SPD aber eine hohe Enthaltungsrate.

>>> SPD :
Les Echos beleuchtet die SPD: >Diszipliniert und einig<, grossartige >Kriegsmaschine<. Die heutigen Schwierigkeiten der Partei seien, dass Deutschland strukturell eher konservativ sei, Bundeskanzler Schroeder das einzige wirkliche Zugpferd der Partei sei und dass das Gleichgewicht zwischen traditioneller Arbeiterklientel und einer eher liberalen Mitte schwer zu finden sei.
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20. September 2002:
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Fuer diesen Tag wurde hier im newsletter nicht nur die franzoesische Berichterstattung zu den deutschen Wahlen beruecksichtigt, sondern alle relevaten politischen Tagesthemen. Grund:  Nahezu alle Themen, auch Bush, Irak, London und Tony Blair, Nahost-Konflikt u.a. stehen in einem unmittelbaren Zusammenhang zur deutschen (Wahl)politik und zu Aeusserungen deutscher Politiker(innen), die in Frankreich aufmerksam, sehr aufmerksam  verfolgt werden. Es zeigt uns zugleich das grosse Spektrum der franzoesischen Berichterstattung und das Interesse Frankreichs an Deutschland- und Europa-Themen.  Diese Zusammenfassung koennen Sie taeglich kostenlos als newsletter der Deutschen Botschaft Paris erhalten: Pressedienst@amb-allemagne.fr

>>> AUFMACHER  UND UEBERBLICK
Le Monde titelt mit der >Eskalation< des Irak-Konflikts durch Bush, Liberation mit dem neuen Attentat in Israel. Le Figaro macht mit steuerlichen Erleichterungen für Familien auf. La Croix widmet die Titelseite dem Beginn der Picasso-Matisse-Ausstellung in Paris, Les Echos dem Abwaertstrend der Pariser Boerse und L`Humanite den Ruestungsplaenen der Regierung. Innenpolitisch findet vor allem die bevorstehende Aufloesung des RPR und ihr Aufgehen in der UMP Beachtung (Anmerkung der Redaktion: Zwei konservative Parteien aus dem Gaullismus kommend, jetzt Chirac-nahe). Vereinzelte Artikel zur parteiinternen Diskussion des PS, den Dezentralisierungsplaenen der Regierung und den schwierigen Bedingungen für Premierminister Raffarin aufgrund der konjunkturellen Flaute. Die Haftentlassung Papons findet weiterhin das Interesse der Zeitungen.
International ist die Irak-Frage erstes Thema, ausserdem Berichte zum Attentat in Israel und zum Putschversuch an der Elfenbeinkueste. Le Monde berichtet anlaesslich des Besuchs des kongolesischen Praesidenten über einen
Vorladungsbefehl der französischen Justiz gegen einen seiner Generäle im Zusammenhang mit Menschenrechtsverletzungen. In Bezug auf Europa bringt Le Monde den Aufruf zu einem Referendum über die EU-Erweiterung, Le Figaro einen wissenschaftlichen Beitrag zur Zukunft der Institutionen. Beide Beitraege bemaengeln das Demokratie-Defizit der EU.

Die Blaetter berichten nach wie vor ausfuehrlich über den Wahlkampf in Deutschland (Schwerpunkt heute: Europaeische und internationale Aspekte).
 
>>> INNENPOLITIK/JUSTIZ
Le Monde, Le Figaro, Liberation und La Croix beleuchten anlässlich der bevorstehenden Auflösung des RPR die Spannungsfelder (politisch, personnell) innerhalb der neuen bürgerlich-rechten Sammelpartei. Die Vereinigung sei aus praktischen Überlegungen vollzogen worden, ein gemeinsames politisches Projekt fehle noch.

>>> PAPON  HAFTENTLASSUNG
Die Entscheidung sei aufgrund der Rechtslage unvermeidbar gewesen, meint Le Monde, die >Papon`sche Rechtsprechung< verpflichte die Justiz, jetzt alle ähnlich gelagerten Anträge mit der gleichen Geschwindigkeit zu behandeln. Der Versuch von Justizminister Perben, die Entscheidung wieder aufheben zu lassen, dürfte aussichtslos sein, meint Figaro.
 
>>> INTERNATIONAL / IRAK
Laut Le Monde befürchtet das Quai d`Orsay, dass eine neue Irak-Resolution mit Interventionsdrohung für Saddam Hussein einen Vorwand darstellen könnte, seine Entscheidung zurückzunehmen. Die Zeitung beschäftigt sich ausserdem mit den Verbindungen Bushs und Cheneys zur Erdöl-Lobby. Das Thema sei aufgrund der zunehmenden Abhängigkeit von den erdoelexportierenden Laendern sowie der angespannten Beziehungen mit Saudi-Arabien von zentraler Bedeutung. Der Irak nutze dies propagandistisch aus.
Le Figaro schreibt, das Weisse Haus verlege sich jetzt darauf, seinen Partnern im Sicherheitsrat den >Arm umzudrehen<. Les Echos meint dazu: Für Europa sei Krieg aufgrund der historischen Erfahrung etwas ganz anderes als eine >Figur auf dem geostrategischen Spielfeld zu verstellen<. Daher sei es unverzichtbar, dass zunaechst der Beweis erbracht werde, dass alle anderen Moeglichkeiten ausgeschoepft seien.

>>> Putschversuch an der Elfenbeinkueste
Für Liberation eröffnet der Putschversuch eine neue neue Aera der Unsicherheit. Figaro meint, die juengsten Ereignisse koennten Frankreich dazu veranlassen, seine Afrika-Politik der Nicht-Intervention zu ueberdenken.

>>> EUROPA
Zwei Vertreter des linken Fluegels des PS (Montebourg und Paul) veroeffentlichen in Le Monde einen Aufruf an Staatspraesident Chirac, ein Referendum über die EU-Erweiterung abzuhalten. Das Volk werde immer erst gefragt, wenn alles schon entschieden sei. Die wirtschaftlichen, sozialen und politischen Kosten der Erweiterung würden zu spaet praesentiert. Gerade die Anhaenger eines starken Europas muessten die Erweiterung mit Beunruhigung sehen. Die EU muesse als Konfoederation organisiert werden, meint Wirtschaftsnobelpreisträger Maurice Allais im Figaro. Die Nationen muessten Meister ihres Schicksals bleiben und duerften nicht von einer totalen Technokratie beherrscht werden. Mehrheitsentscheidungen seien nicht die Loesung, da Mehrheiten noch schlimmer als Tyrannen sein koennten.

>>> WAHLKAMPF DEUTSCHLAND
>>> Irak, Verteidigung
Picaper analysiert im Figaro erneut die >germano-zentristische< Position Schroeders: Ueberraschenderweise appelliere der Sozialist Schroeder an den Nationalismus, während Stoiber die europaeisch-transatlantische Linie vertrete. Der jetzt definitiv erscheinende Richtungswechsel Deutschlands beunruhige die Mehrheit in Frankreich und werfe die Frage nach den Auswirkungen auf die EU und die gemeinsame Verteidigung auf. Daniel Vernet schreibt in Le Monde, das Scheitern Jospins stelle für die deutsche Regierung ein Schreckgespenst dar. In gewisser Weise habe Bush Schroeder Wahlkampfhilfe geleistet, da er ihm die Gelegenheit gegeben habe, den Erwartungen der sozialdemokratischen und grünen Wählerklientel zu entsprechen. Der Pazifismus, der nicht nur bei den Linken verbreitet sei, sei eine Art Zauberformel.
Le Figaro berichtet im Zusammenhang mit dem Aufruf einer Gruppe von Bundeswehr-Angehoerigen, für Schroeder zu stimmen, unter Schroeder habe sich die Bundeswehr definitiv gewandelt. Deutschland sei mittlerweile das Land, das nach den USA am meisten Soldaten zur internationalen Missionen schicke. Auch Liberation beschaeftigt sich mit dem Wandel der Bundeswehr. Sie habe allerdings das Image eines >grossen Kranken>, dessen Leiden mal lachen und mal schaudern liessen.
In zwei Interviews nehmen die Bundestags-Abgeordneten Pflueger (CDU) und Gloser (SPD) zu Schroeders Haltung in der Irak-Frage Stellung (Liberation). Pflueger verurteilt dessen >Unilateralismus<. In Bezug auf den deutsch-franzoesischen Motor stellt Gloser die Frage, weshalb man nicht auch von den anderen Motoren innerhalb der EU spreche.
Die umstrittene Aussage von Herta Daeubler-Gmelin wird von den Zeitungen nur am Rande aufgenommen.
L`Humanite fragt, ob Berlin >so rot< bleibe. Das Schicksal der PDS entscheide sich in der Hauptstadt.

>>> EUROPA
Le Parmentier (Le Monde) analysiert mit unentschiedenem Ergebnis die Positionen der Kandidaten zu europaeischen Fragen (u.a.: >Nein< zur EU-Mitgliedschaft der Tuerkei hätte schlimme Krise zur Folge; Stoiber habe in der gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik vermutlich eine ehrlichere Position; Schroeders Haltung in der Irak-Frage habe eine gemeinsame europäische Position unmoeglich gemacht; einziger wirklich
pro-europäischer Vorstoss bzgl. der Institutionenfrage seien dieVorschlaege von Außenminister Fischer im Fruehjahr 2000 gewesen).

Unterschiedliche Quellen stimmten darin überein, dass Staatspräsident Chirac Schoeder, von dem er wisse, was er zu erwarten habe, Stoiber vorziehe.

>>> WIRTSCHAFT
Le Figaro analysiert ausfuehrlich das Problem der Arbeitslosigkeit. Der Hartz-Bericht sei sehr optimistisch, Deutschland werde noch lange mit dem Problem zu kaempfen haben. Unter der Überschrift >Eurozone Opfer ihrer roten Laterne< stellt Le Figaro theoretische Betrachtungen an, nach denen es für D besser waere, eine unabhaengige Zinspolitik betreiben zu koennen.
Auch der Rest Europas leide unter den Problemen der >Lokomotive< Deutschland.

>>> AUSSENMINISTER  FITSCHER  UND  DIE  GRUENEN
Fischer sei die wichtigste Trumpfkarte Schroeders geworden, schreibt Le Figaro und laesst die Entwicklung des Aussenministers Revue passieren. Das allein werde aber nicht ausreichen, die Gruenen zu retten. Die Parteiaktivisten seien nicht so leicht mit der Kompromisslinie Fischers zu versoehnen.

>>> PERSOENLICHKEITEN  DER  KANDIDATEN
La Croix und Les Echos stellen die Persoenlichkeiten der Kandidaten gegenueber: >Intuitiver Pragmatiker, sehr preussischer Bayer<. Schroeder habe waehrend seiner Amtszeit sein Image als >Spasskanzler< korrigiert; er sei aber weiterhin opportunistisch, fuehle sich bei ideologischen Debatten nicht wohl und habe einen Hang zum Populismus. Stoiber wirke dagegen wie ein Apparatschik.
(Quelle: Pressereferat der Deutschen Botschaft Paris)
Sie erhalten diese Nachricht, wenn Sie am elektronischen Verteiler Pressedienst@amb-allemagne.fr abonniert sind.
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Montag, 23. September 2002 :
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>>> NAHOST
Mit kritischem Unterton befassen sich La Croix und L`Humanite ausfuehrlicher mit der Politik Scharons. La Croix schreibt, er wolle Arafat offenbar ins Exil vertreiben, L`Humanite stellt im Leitkommentar fest, Frankreich und Europa uerden >ihre eigenen Worte verraten<, wenn sie jetzt Arafat sich selbst seinem Schicksal ueberliessen.

>>> BUNDESTAGSWAHL
Alle Blaetter befassen sich sehr ausfuehrlich mit den Bundestagswahlen. Le Figaro und Le Parisien melden als einzige das Wahlergebnis und meinen beide, alleine das gute Abschneiden der Gruenen habe Gerhard Schroeder zur Wiederwahl verholfen, die Gruenen seien die Retter der Koalition, Hauptgrund für das Scheitern Stoibers sei das schwache Abschneiden der FDP. Im Leitkommentar spricht Le Figaro von der >Zweiten Chance Schröders<, die Deutschen haetten seine Persoenlichkeit der Politik Edmund Stoibers vorgezogen. Gerhard Schroeder habe sich in erster Linie durch seinen Charme retten koennen, auch die Ueberschwemmungen haetten ihm Gelegenheit gegeben, zu brillieren. Auch das Irak-Thema habe ihm zum Sieg verholfen. Der Bundeskanzler habe dabei auf den >versteckten Stolz< seiner Landsleute gesetzt, die 10 Jahre nach der Wiedervereinigung es immer noch nicht wagten, für Deutschland eine seiner wirtschaftlichen Macht entsprechende Rolle in der Aussenpolitik zu fordern. Abschliessend stellt Le Figaro fest, der Stil habe über die Substanz gesiegt, der Sieg Schroeders sei aber nur sehr knapp und >zerbrechlich<. Als vorrangig erkennt das Blatt in einem weiteren Beitrag, jetzt muesse der Dialog mit Washington wieder aufgenommen werden. In den letzten Tagen habe es der Bundeskanzler nicht gewagt, Bush anzurufen, das Gesaech Joschka Fischers mit Powell sei kaum beachtet worden.
Liberation stellt die Frage, ob jetzt ein neuer deutsch-franzoesischer Start moeglich ist, seit vier Jahren wuerde die Achse Rost ansetzen. Das Jahr 2002 sei für Europa bislang ein verlorenes Jahr, fraglich sei, ob
Berlin und Paris dies jetzt noch aendern koennten. Es sei kein Zufall, daß seit dem Mauerfall die franoesische Diplomatie Deutschland verdaechtige, die alleinige Fuehrerrolle in Europa zu beanspruchen, auch der
Blaesheim-Prozess habe nicht zu entscheidenden Fortschritten gefuehrt. Chirac, der eher auf Stoiber gesetzt habe, habe die Gefahr erkannt und deshalb das deutsch-franzoesische Verhaeltnis zu einem seiner Schwerpunkte
seiner Politik gemacht. Auch Les Echos befasst sich mit der Zukunft der deutsch-franzoesischen Beziehungen und meint, das Paar sei >nicht gerade in guter Form<. Die Tatsache, dass jetzt in Berlin die Nachkriegsgeneration an der Macht sei, habe die Spielregeln geaendert. Auch sei das persoenliche Verhältnis zwischen Gerhard Schroeder und Jacques Chirac nicht vergleichbar mit dem ihrer Vorgaenger. (Kohl und Mitterand. Anmerkung der Red.) Die Schwaeche des couple franco-allemand sei ganz besonders beim Gipfel in Nizza deutlich geworden. Im Leitkommentar meint Les Echos aber auch positiver, das Ende der Wahlkaempfe bedeute auch das Ende der Laehmung Europas. Jetzt sei man in Deutschland, Frankreich und Grossbritannien in einer Phase der politischen Stabilitaet und koenne sich den Herausforderungen der Zukunft stellen. Auch Le Parisien schreibt, >Schröder wird von den Grünen gerettet<. Trotz des Stimmenzuwachses für CDU/CSU koenne Gerhard Schroeder aufgrund des guten Abschneidens der Gruenen davon ausgehen, Bundeskanzler zu bleiben.