Guillaume Musso: Wirst du da sein?

Guilaume Musso: Wirst du da sein?Der Autor Guilaume Musso zählt zu den größten französischen Erfolgsautoren der letzten Jahre. Der ergreifende Roman Wirst du da sein? eroberte auf Anhieb die Bestsellerlisten und wurde bislang in 22 Sprachen übersetzt.

Elliott Cooper ist ein erfolgreicher und angesehener Arzt, dem die Frauen zu Füssen liegen. Doch er ist ist niemals über den frühen Tod seiner von ihm leidenschaftlich geliebten Frau Ilena hinweggekommen. Eines Tages wird sein grösster Wunsch erfüllt, und er bekommt die Gelegenheit durch die Zeit die Liebe seines Lebens noch einmal wiederzusehen. Elliott Cooper begegnet seinem jüngerem Selbst, und versucht das Schicksal herauszufordern und Ilenas Tod zu verhindern.

Guillaume Musso: Wirst du da sein?
Roman
Aus dem Französischen von: Claudia Puls
Gebunden, 311 Seiten,

Erschienen bei: Gustav Kiepenheuer Verlag
978-3-378-00682-9
19,95 € *) / 38,60 Sfr

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Leseprobe Guillaume Musso: Wirst du da sein?

Nordosten Kambodschas
Regenzeit, September 2006

Der Helikopter des Roten Kreuzes landete pünktlich. Auf dem bewaldeten Hochplateau lag ein Dorf, das etwa hundert armselige Holzhütten zählte. Ein vergessener Ort, zeitlos, weit ab von den touristischen Regionen um Angkor oder Phnom Penh. Die Luft war feucht, der Boden von Schlamm bedeckt.
Der Pilot schaltete die Turbinen gar nicht erst ab. Sein Auftrag war, die Mediziner, die hier humanitäre Hilfe leisteten, wieder in die Stadt zu bringen. Bei normalem Wetter ein Kinderspiel, doch es war September, und die sintflutartigen Regengüsse schränkten die Manövrierfähigkeit des Hubschraubers enorm ein. Außerdem waren die Treibstoffreserven begrenzt, sie mochten gerade ausreichen, um das Team heil zurückzufliegen – vorausgesetzt, man vergeudete nicht unnötig Zeit.
Zwei Chirurgen, ein Anästhesist und zwei Krankenschwestern verließen im Laufschritt das Lazarett, wo sie seit dem Vortag beschäftigt gewesen waren. In den vergangenen Wochen hatten sie Dorf für Dorf in der Umgebung aufgesucht, um nach Kräften die verheerenden Auswirkungen von Malaria, Aids oder Tuberkulose zu behandeln und Amputierte mit Prothesen zu versorgen – noch immer war diese Gegend übersät mit Tretminen.
Auf ein Zeichen des Piloten stürzten sich vier der fünf Helfer in den alten Transport-Helikopter. Der fünfte, ein Mann um die Sechzig, hielt sich ein wenig abseits und schaute gedankenverloren auf die Gruppe Kambodschaner, die sich neugierig um die Flugmaschine versammelt hatten.
»Wir müssen los, Doktor!« brüllte der Pilot. »Wenn wir nicht sofort starten, werden Sie Ihren Anschlußflug verpassen.«
Der Arzt nickte abwesend. Doch als er einsteigen wollte, begegnete er dem Blick eines kleinen Jungen, den ein alter Mann an der Hand hielt. Wie alt das Kind wohl sein mochte? Zwei, drei Jahre? Höchstens. Sein Gesicht war furchtbar entstellt durch eine Lippen-Gaumenspalte. Eine angeborene Mißbildung, die den Kleinen dazu verurteilte, sich sein Leben lang von Suppen und Brei zu ernähren, und ihn daran hinderte, auch nur ein Wort zu artikulieren.
»Beeilen Sie sich!« drängte eine der Krankenschwestern.
»Dieses Kind muß operiert werden«, schrie der Arzt gegen den Lärm des Rotors an.
»Wir haben keine Zeit mehr! Die Straßen sind durch die Überschwemmungen unpassierbar geworden, und ich könnte Sie erst in ein paar Tagen wieder mit dem Helikopter holen kommen.«
Doch Elliott Cooper konnte sich nicht zum Aufbruch entschließen. Der Blick des kleinen Jungen ließ ihn nicht los. Cooper wußte, daß Babys mit einer Hasenscharte in diesem Teil der Welt, gemäß uralten Bräuchen, oft von ihren Eltern verlassen wurden. Bestenfalls kamen sie in ein Waisenhaus, auf eine Adoption konnten sie mit ihrer Entstellung nur selten hoffen.
Die Krankenschwester versuchte erneut auf ihren Kollegen einzuwirken. »Sie werden übermorgen in San Francisco erwartet, Doktor Cooper. Ihr OP-Plan ist voll, und Sie haben dringende Konferenztermine …«
»Fliegen Sie ohne mich, Emily«, unterbrach sie der Arzt.
Kurz entschlossen kletterte die Krankenschwester wieder aus dem Hubschrauber. »Wenn das so ist, bleibe ich bei Ihnen. Wie wollen Sie sonst mit der Narkose zurechtkommen?«
Der Pilot schüttelte seufzend den Kopf, bevor er senkrecht mit dem Helikopter abhob und sich nach kurzem Schwebeflug Richtung Westen entfernte.
Doktor Cooper trug den Jungen auf dem Arm zum Lazarett, Emily begleitete die beiden. Mit beruhigend klingenden Worten versuchte der Arzt, dem bleichen und verschlossenen Kind die Angst vor dem bevorstehenden Eingriff zu nehmen. Als es schließlich unter Emilys Narkose eingeschlafen war, löste Cooper mit dem Skalpell behutsam die Gaumensegel und dehnte sie vorsichtig, um die Spalte zu schließen. Danach nahm er mit aller Sorgfalt den Lippenverschluß vor, damit der Kleine schon bald wie ein Kind würde lächeln können.

Cooper trat hinaus auf die mit Wellblech gedeckte Veranda, um einen Augenblick auszuruhen. Die Operation hatte lange gedauert. Seit fast zwei Tagen war er ununterbrochen auf den Beinen, und mit einemmal überkam ihn eine große Müdigkeit. Er zündete sich eine Zigarette an und schaute sich um. Der Regen hatte nachgelassen. Die Wolkendecke war aufgerissen, ein orangeroter Lichtstrahl fiel genau auf das Dorf.
Er bereute es nicht, hiergeblieben zu sein. Jedes Jahr reiste er in seinen Ferien einige Wochen für das Rote Kreuz nach Afrika oder Asien; und wie jedes Jahr ging der Aufenthalt auch diesmal nicht spurlos an ihm vorüber. Andererseits waren diese humanitären Missionen zu einem wichtigen Bestandteil seines Lebens geworden, er brauchte sie, um wenigstens eine Zeitlang seiner glatten, heilen Chefarztwelt in Kalifornien zu entkommen.
Als er seine Zigarette ausdrückte, spürte Cooper, daß jemand hinter ihm stand. Er drehte sich um und erkannte den alten Mann vom Hubschrauberlandeplatz, der die Hand des kleinen Jungen gehalten hatte. Wahrscheinlich war es der Dorfchef. Er trug die traditionelle Tracht der Khmer, hatte einen gebeugten Rücken und ein runzliges, ehrfurchtgebietendes Gesicht. Statt einer Begrüßung führte er seine Hände in Gebetshaltung vor der Brust zusammen und sah Cooper einen langen Moment direkt in die Augen. Ohne den Blick abzuwenden, lud er ihn schließlich mit einer Geste ein, ihm in seine Hütte zu folgen, und bot ihm dort aus einer kleinen Porzellanflasche einen Reisschnaps an. Erst dann richtete er das Wort an den Fremden.
»Er heißt Lou-Nan«, sagte der alte Kambodschaner in überraschend gutem Französisch. Cooper nickte. »Ich danke Ihnen, daß Sie ihm ein Gesicht geschenkt haben.«
Der Chirurg dankte dem Alten für seine Freundlichkeit und schaute ein wenig verlegen aus der Fensteröffnung. Dicht und grün erstreckte sich vor seinen Augen der tropische Regenwald, die verdampfende Feuchtigkeit stand als warmer Nebel über den Wipfeln. Es war faszinierend zu wissen, daß ganz in der Nähe, in den Bergen von Ratanakiri, Tiger, Schlangen und Elefanten zu Hause waren …
Über seinen Träumereien hatte er gar nicht darauf geachtet, daß der alte Mann weiterredete. Cooper versuchte sich wieder auf das Französisch seines Gastgebers zu konzentrieren.
»Wenn Sie die Möglichkeit hätten, sich einen Wunsch zu erfüllen, wofür würden Sie sich entscheiden?« fragte er gerade.
»Wie bitte?«
»Was ist Ihr größter Wunsch, Doktor?«
Cooper suchte krampfhaft nach einer geistreichen Antwort, doch überwältigt von seiner Erschöpfung und einer unerwarteten Gefühlswallung, brachte er schließlich nur leise hervor: »Ich würde mir wünschen, eine Frau wiederzusehen.«
»Eine Frau?«
»Ja … Die einzige, die mir wirklich etwas bedeutete.«
»Und Sie wissen nicht, wo sich diese Frau gerade aufhält?« fragte der alte Khmer, offensichtlich überrascht von einem so bescheidenen Traum.
»Sie ist vor dreißig Jahren gestorben.«
Der Alte legte die Stirn in Falten und versank in tiefe Meditation. Nach einer Weile erhob er sich, schritt ans andere Ende der Hütte, wo sich auf einem wackligen Regal seine Schätze türmten: getrocknete Seepferdchen, Ginsengwurzeln, in Formalin eingelegte, ineinander verschlungene Giftschlangen … Er kramte ein wenig in diesem Durcheinander, bis er schließlich in den Händen hielt, was er suchte. Damit kehrte er zu seinem Gast zurück und streckte ihm feierlich einen winzigen mundgeblasenen Glasflakon entgegen. Zehn kleine, golden schimmernde Pillen waren darin zu erkennen.

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